Donnerstag, 16. Februar 2012

Urheberrecht aus Sicht eines Urhebers (Autor)

Zurzeit wird viel über ACTA und über das Urheberrecht diskutiert. Viele, die gegen ACTA sind, wollen gleichzeitig das Urheberrecht abschaffen oder drastisch verkürzen. Als Urheber habe ich den Eindruck gewonnen, dass sich zu wenige hauptberufliche Urheber, die tatsächlich vom Schreiben, Fotografieren etc. leben, an der Diskussion beteiligen und dass in der Öffentlichkeit und auch unter den Politikern zu wenig bekannt ist, wie und wovon ein Urheber eigentlich lebt. Daher hier meine Sicht als Autor.

Urheberrecht und ACTA

Die Vermischung der Diskussionen um ACTA, Urheberrecht und Verwertung/Lizenzierung macht mir Angst. Ich traue den ACTA-Gegnern nicht, nachdem in Diskussionen und Interviews ACTA-Gegner als Argument äußerten: „Dann könnte ich bei YouTube ja nicht mehr alles umsonst runterladen“. Sind das die Kinder der Geiz-ist-geil-Generation, die nun alles umsonst haben wollen, was ihnen an Musik, Bildern oder Texten gefällt? Selbst Menschen, die sich intensiver mit der Materie beschäftigen und einen Gegenentwurf zu ACTA entwickeln, schlugen vor, das Urheberrecht solle auf 2 Jahre nach Erstveröffentlichung gekürzt werden. Da frage ich mich schon, ob die überhaupt wissen, wie beispielsweise ein Autor in Deutschland sein Geld verdient. (Für andere Urheber wie Fotografen, Maler, Musiker und auch für andere Länder kann ich nicht sprechen, da ich nicht im Detail damit vertraut bin – die USA hat ja beispielsweise ein anderes Urheberrecht als wir. Ich würde mich aber freuen, wenn sie auch ihre Sicht darstellen, und verlinke dann gerne von hier aus.)

Das (Über-)Leben eines Urhebers am Beispiel Autor

So ist der Weg von der Idee zum Einkommen: Entweder hat ein Autor (= Urheber) eine Idee, über was er schreiben möchte, oder ein Verwerter (im besten Fall ein netter Verlag) trägt eine Idee an ihn heran. Wenn man als Autor selbst keinen Verlag für seine Idee gewinnen kann, aber unbedingt beim Verlag schreiben will, sucht man sich einen Agenten – allerdings sind die ebenso schwer wie Verlage zu gewinnen und möglicherweise finden sie auch keinen Verlag. Hat dann endlich doch ein Verlag angebissen, entwickeln der Lektor des Verlages und der Autor zusammen eine Inhaltsstruktur, wobei der erste Entwurf vom Autor kommt.

Wenn man sich über alles einigen kann, wird ein Vertrag zur Verwertung gemacht, der alle Details zu Rechten und Pflichten von beiden Seiten enthält. Der Verwerter (Verlag) verpflichtet sich im Verlagsvertrag beispielsweise, dafür zu sorgen, dass das Buch gedruckt und unter die Leute gebracht wird. Damit er das kann, muss der Autor ihm bestimmte Rechte einräumen - leider klingt das in den Verträgen immer sehr kompliziert (bei Mediafon kann man recherchieren, was "normal" ist). Was die Bezahlung angeht, kann man als Nicht-Prominenter oder Nicht-Starautor aber doch einigermaßen geschätzter Fachautor meist einen nicht rückzahlbaren Vorschuss aushandeln. Die Höhe des Vorschusses ist sehr themenabhängig und es kommt auch darauf an, was sich der Verlag überhaupt leisten kann – je mehr Vorschuss, desto mehr zusätzliches Risiko für den Verlag, denn letztlich weiß niemand, ob sich das Buch überhaupt verkaufen wird.

Ein Verlagsvertrag ist etwas Gutes. Der Vorschuss deckt bei mir im Durchschnitt etwa den Lebensunterhalt eines Viertels der Zeit, die ich brauche, um das Buch zu schreiben – bei manchen Büchern mehr, bei anderen gibt es gar keinen Vorschuss (je nach Thema bzw. bei Fiktion als unbekannter Schriftsteller in einem kleinen Verlag). Mit anderen Worten: Wenn ich 4 Monate an einem Buch schreibe, dann deckt der Vorschuss (der meist erst bei Manuskriptabgabe oder bei Veröffentlichung fällig wird) im Durchschnitt anschließend einen Monat lang meine Lebenskosten.

Da fragt man sich: Wovon leben Autoren dann die restliche Zeit? Zurecht. Antwort: Von den Honoraren, die über die Jahre noch nachkleckern, nachdem der Vorschuss mit ihnen verrechnet wurde. Wenn mein Vorschuss beispielsweise nach 2 - 3 Jahren mit den tatsächlichen Honoraren aus Verkäufen verrechnet ist, kommt wieder etwas Geld herein – jedes Mal, wenn jemand mein Buch kauft und bezahlt. Aber das sind winzige Beträge pro Buch. Manche Bücher haben dann nach 10 Jahren so viel Geld gebracht, dass die ursprünglich investierte Zeit zu einem erträglichen Stundenlohn führte. Bei manchen Büchern passiert das nie. Das gute Buch, das lange läuft, trägt den Rest mit, der nicht so recht in Fahrt kommt – und das passiert bei vielen Büchern.
[Nachtrag 19.2.2012] Dazu kommt noch das Geld, das die Verwertungsgesellschaft (VG) Wort einsammelt und verteilt. Damit ist in etwa die Miete eines Monats bezahlt - in einem Jahr mehr, im anderen weniger. Das Geld stammt beispielsweise aus geringfügigen Aufschlägen auf Vervielfältigungsgeräte, durch die Nutzer Geld sparen, denn sie müssen nicht das ganze Buch kaufen, wenn sie nur Abschnitte kopieren. [Nachtrag-Ende]

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Werden Bücher von unberechtigten Dritten gescannt und als E-Books angeboten (solche Plattformen "E-Books umsonst" gibt es ja im Internet), ist das nach unserem Gesetz Diebstahl zu Lasten des Autors und zu Lasten des Verlages, die die ganze Arbeit und das Risiko hatten. Das Teure am Buch ist übrigens nicht der Buchdruck, sondern die viele Arbeit, die Autoren, Lektoren und viele andere Menschen da reingesteckt haben - deshalb spielt es keine soooo große Rolle, wie viele annehmen, ob das Buch gedruckt oder digital verkauft wird. Wenn es digital verkauft wird, ist allerdings i. d. R. der stationäre Buchhandel nicht mehr beteiligt (dafür wirken Monopolisten auf die Preisgestaltung) - das spart dem Kunden Geld, dafür fehlt ihm die Beratung durch die Fachleute der Buchläden, die aber leider zunehmend pleitegehen und aus den Städten (auch wegen anderer Zusammenhänge) verschwinden.

Verschiedene Geschäftsmodelle für Autoren

Natürlich kann man nicht nur über Verlage publizieren. Als Autorin/Journalistin habe ich schon verschiedene Wege probiert – und ich bin sehr froh, dass es verschiedene Wege gibt: gedruckte Bücher/E-Books mit Verlag, Bücher ohne Verlag, werbefinanzierte Online-Publikationen. Aber wenn ich mich aufs Schreiben konzentrieren will, dann ist die Arbeit mit (einem guten Agenten und) einem Verlag am erfreulichsten, denn dann kann ich das tun, weswegen ich den Beruf ergriffen habe: Schreiben.

Der Verlag hält dem Autor den Rücken frei, entwickelt Buchreihen, kümmert sich um Lektorat, Korrektorat, Layout, Umschlag, Vertrieb und Vermarktung. Wenn ich selbst verlege – egal, ob gedrucktes Buch, E-Book oder Online-Publikation, dann muss ich mich um alles selbst kümmern, d. h. ich muss all dies selbst lernen und umsetzen. Das frisst wahnsinnig viel Zeit und Energie, schließlich muss man mehrere Berufe lernen, in die andere als Azubi oder Student mehrere Jahre reingewachsen sind. Dabei wollte ich einfach nur schreiben.

Leider werden die Verlagsverträge in den letzten Jahren immer schwieriger zu lesen und gehen oft genug in Richtung Total Buy Out. Ein Agent kann dabei helfen, einen besseren Vertrag zu bekommen, möchte aber für seine Arbeit auch bezahlt werden - verständlicherweise. Der Grund für die schlechteren Verträge liegt aber meiner Meinung nach nicht darin, dass die Verlage immer böser werden, sondern weil es ihnen – meinem Eindruck nach – immer schlechter geht. Und das hat natürlich mit den großen amerikanischen Platzhirschen im Internet zu tun, die den Nutzern alles für lau und den Autoren große Erfolge unter Umgehung der Verlage versprechen. Sie machen das nicht aus Gutherzigkeit, sondern sie wollen die Verlage u. a. Verwerter loswerden und selbst das Geschäft machen. Sie interessieren keine Urheberrechte und letztlich auch nicht der Künstler/Autor, sondern nur wie viele Besucher kommen (umso teurer können sie ihren Werbeplatz verkaufen) oder wie sie die Verlage ersetzen können (ohne den Service zu bieten, der nämlich Geld kosten würde).

Ja, die Verlage u. a. Verwerter müssen sich - wie alle - der neuen Situation im Internet stellen. Aber das Urheberrecht abzuschaffen oder drastisch zu kürzen oder überhaupt Gesetze kritiklos an Geschäftsmodelle von Unternehmen anzupassen, ist meiner Meinung nach der falsche Weg.

Urheberrecht- und ACTA-Argumente

Die ACTA-Gegner behaupten, dass ACTA nur den Verwertern in die Hände spiele und die Verwerter seien böse. Nun, die Verwerter (in meinem Fall Verlage) bezahlen mich als Urheber, indem sie mir für jedes verkaufte Buch einen Honoraranteil überweisen – und sie können nur verwerten, was sie von den Urhebern zur Verwertung per Vertrag bekommen haben. Es steht jedem frei, zu schreiben, komponieren, fotografieren und seine Werke als frei zu deklarieren (GNU-Lizenz für freie Dokumentation). Doch ich möchte vom Schreiben leben können. Und wenn mein erster Roman erst nach 25 Jahren entdeckt wird, finde ich, steht immer noch mir das Honorar zu – denn schließlich habe ich über ein Jahr lang in jedem Urlaub, an jedem Wochenende und jeden Abend daran geschrieben (Geld verdienen musste ich damals mit was anderem).

Die ACTA-Gegner wollen keine „Totalüberwachung durch den Staat“ und auch nicht, dass die Tauschplattformen zu Hilfssheriff gemacht werden. Ob das überhaupt durch ACTA verlangt wird, weiß ich nicht – nach der Analyse zweier Rechtsanwälte (Links zu den Artikeln sind unten bei Quellen), steht das nicht drin und sind auch kaum neue gesetzlichen Regelungen in Deutschland erforderlich. Leider sind die ACTA-Gegner nicht so kritisch, wenn es um die Totalüberwachung durch Internet-Unternehmen wie Facebook oder Google geht oder andere, die tracken und bubblen.

Ich möchte auch keine Totalüberwachung durch den Staat und ich möchte auch nicht, dass Jugendliche bei Ersttaten unverhältnismäßig hohe Abmahnungen zahlen müssen, aber ich will, dass Gesetze auch im Internet gelten – allerdings gehören die auch mal eindeutig für das Internet ausgelegt und kommuniziert, statt User und Publisher in Fallen laufen zu lassen, in der Hoffnung, dass Gerichte alles irgendwann klären werden, während sich die Politik irgendwo versteckt. Aber grundsätzlich: Wenn ich die Situation auf ein Gasthaus übertrage: Von einem Wirt verlange ich doch auch, dass er dafür sorgt, dass in seinem Laden das Gesetz eingehalten wird, dass er dort keinen Drogenhandel duldet und Kindern keinen Alkohol verkauft. Warum soll man das nicht auch von einer Internetplattform verlangen können. Die überwachen uns doch sowieso bzw. sammeln Daten wie verrückt. Wie man sieht, machen die Internet-Unternehmen freiwillig wenig nur deshalb, weil etwas richtig wäre, denn jeder Besucher ist für sie ein guter Besucher – die interessieren sich nicht für Urheberrecht oder andere Gesetze, solange die Kohle stimmt und man sie machen lässt.

Ein Urheber will nicht das Haustier der Gesellschaft sein

Das Leben eines Künstlers/Autors ist hart. Aber das weiß man, wenn man damit anfängt. Mag sein, dass es einer Rihanna oder einem Dieter Bohlen finanziell nicht so viel ausmacht, wenn jemand ihre Arbeit kopiert und verteilt. Aber es ist ungesetzlich. Doch ein Künstler/Publizist hat in Deutschland laut Künstlersozialkasse im Durchschnitt ein Monatseinkommen von ca. 1.100 Euro (und die KSK nimmt erst ab einem Mindesteinkommen auf) - in dem Betrag ist auch das enthalten, was die Verwertungsgesellschaften (z. B. VGWort) eingesammelt und verteilt haben. Und das will man dem Künstler/Publizist wegnehmen, indem man das Urheberrecht abschafft oder verkürzt?

Voll die Krätze kriege ich aber, wenn ich von eher dem Sozialismus zugeneigten Menschen in Diskussionen höre, dass „unsere Künstler und Schriftsteller eben einen Pauschalbetrag zum Leben bekommen sollen“ (wenn wir dann mal die Gesellschaft umgekrempelt haben). Aber: Es müsste ja wohl fairerweise erst die Gesellschaft umgekrempelt werden, bevor man Urheber enteignet. Aber auch so will ich nicht wie ein Haustier, das man sich als Gesellschaft leistet, gehalten werden – abgesehen davon, dass ich Verfechter der sozialen Marktwirtschaft und nicht des Sozialismus bin.

Mein Fazit als Urheber (Autor)

ACTA, Urheberrecht und Verwertung sind verschiedene Dinge - darüber muss aufgeklärt werden. Die Auslegung der Gesetze für das Internet sollte eindeutiger kommuniziert, am besten schriftlich veröffentlicht und in Schulen gelehrt werden, denn weder Internetnutzer noch Urheber/Seitenbetreiber können aktuell noch durchschauen, was legal ist und was nicht.

Beispiel: Offensichtlich sind die Vorschaubilder bei Google-Suche legal, aber bei Verlinkungen bei Facebook oder beim Pinnen aus Blogs mit Pinterest/Pinspire nicht (weiß leider nicht mehr, wer das im TV vor Kurzem gesagt hat). Genauso gehört das ganze Tracking-Thema untersucht und eindeutige Regeln aufgestellt – Illegales sollte in Deutschland erst gar nicht angeboten werden dürfen, statt den überforderten Nutzer oder Publisher ins Verderben sausen lassen. Die Politik sollte sich endlich mal dran setzen und die Regeln für die Bürger formulieren.

Diesem Schlamassel aus dem Weg gehen zu wollen, indem man einfach mal das Urheberrecht beseitigt, weil man sich sonst mit mächtigen Unternehmen auseinandersetzen müsste, ist für mich feige und davon abgesehen auch gleichzusetzen mit Enteignung.

[Nachtrag 19.2.2012] Es sollten auch meiner Meinung nach faire Lizensierungs-/Nutzungsmodelle ermöglicht werden. Z. B. günstige Kombiprodukte (Buch + E-Book). Oder Lizenzen für den Inhalt: Wer ein Buch gekauft hat, soll es für einen kleinen Aufpreis auch als E-Book herunterladen dürfen, statt es noch einmal ganz bezahlen zu müssen (Ausnahme E-Books mit extremem Mehraufwand und "Mehrwert" wie interaktiven Grafiken etc.). Die Buchpreisbindung und der Börsenverein des Deutschen Buchhandels als Sprachrohr der deutschen Buchbranche sollten fairen Innovationen nicht den Weg verstellen. Dementsprechend sollte auch die GEMA (Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte) sich innovativen Lizensierungs- und Nutzungsmodellen öffnen oder sie selbst entwickeln. ACTA (Anti-Counterfeiting Trade Agreement), bei dem es um die (Art der) Durchsetzung von Gesetzen gegen Produktpiraterie und Markenfälschungen geht, ist für mich ein ganz eigenes Thema. [Nachtrag-Ende]

Aber solange eine große Zahl der ACTA-Gegner gleichzeitig auch Urheberrechtsabschaffer sind bzw. Urhebern und Künstlern die Rechte und die Lebensgrundlage beschneiden wollen, werde ich mich nicht zu ihnen stellen.

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Aufruf
Wenn ihr auch Urheber (Fotograf, Musiker, Journalist, Maler o. a.) seid und davon lebt (also nicht nur schreibt, um eure Dienstleistungen zu promoten) oder Verwerter (Verlag) seid, dann könnt ihr vielleicht auch für andere aufschreiben, wie das mit Kunst/Urheberschaft oder Geschäft und Einkommen bei euch funktioniert. Ich glaube nämlich, dass viele Menschen davon einfach die falsche Vorstellung haben.

Quellen und weitere Informationen


[Nachtrag 16.5.2012]
Gut gefällt mir auch dieses Interview mit Pia Ziefle: Mein Standpunkt ist der des autonomen Urhebers

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Donnerstag, 9. Februar 2012

Social Media – ist der Hype vorbei?

social-media-hype-vorbei-vgwortWenn es sich bei Social Media ähnlich verhält wie an der Börse & Geldanlage – dass eine Kursrallyephase bald vorbei ist, wenn auch die Mainstream-Medien zum Einstieg blasen – dann dürfte der Social-Media-Hype demnächst abklingen, denn jeder, der in der Politik, im Fernsehen, in Zeitschriften und Rundfunk ein wenig zeitgemäß rüberkommen möchte, bindet Social Media – mehr oder weniger holprig – in seine Aktivitäten ein.

Nun funktioniert nicht alles im Leben so wie die Börse, an der die Zukunftsaussichten gehandelt werden, doch seit ein paar Wochen bemerke ich eine Abnahme der Social-Media-Euphorie um mich herum, ich beobachte eine Zerfransung des Angebotes (immer neue spezialisierte soziale Netzwerke, z. B. So.cl, Pinterest und Klone, diverse Videoplattformen – das ist zwar aus kartellrechtlicher Sicht positiv, aber es verteilt zum einen die Nutzeraufmerksamkeit, zum anderen die Budgets), sehe Anzeichen für rückläufige Nutzerzahlen, erlebe, dass Zeit-, Geld- und Ressourceneinsatz oft genug in keiner sinnvollen Relation zum Ergebnis stehen – und der daraus resultierende Frust dürfte bei manchem Unternehmen die Aktivitäten zurückgehen lassen.

Social Media – Zahlen lügen nicht (?)

Meine Eindrücke sind subjektiv, was aber sagen die Zahlen? Laut einer vom Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien (BITKOM) veröffentlichten Studie (durchgeführt von der forsa Gesellschaft für Sozialforschung und statistische Analysen) vom Herbst 2011 sind 74 Prozent der Internetnutzer in mindestens einem sozialen Netzwerk angemeldet, 66 Prozent der Internetnutzer sind im Netzwerk auch aktiv (weibliche Nutzer 71 Prozent, männliche Nutzer 61 Prozent). 59 Prozent der Internetnutzer sind immerhin täglich in ihrem Netzwerk aktiv, 11 Prozent sogar mehr als zwei Stunden täglich.

Ist der Social Media Hype vorbei?
Interessanterweise sind die Zahlen im Vergleich zu den Ergebnissen vom Frühjahr 2011 aber leicht rückläufig. Im Frühjahr 2011 waren nämlich noch 76 Prozent der Internetnutzer in sozialen Netzwerken angemeldet, 73 Prozent der Internetznutzer waren in sozialen Netzwerken aktiv.

Zwar würde ich das noch nicht als "Negativwachstum" einstufen, da die Anzahl der Befragten mit 1.023 (Herbst 2011) bzw. 1.001 Personen (Frühjahr 2011) doch recht klein ist – auch wenn sie repräsentativ ist - und die statistische Fehlertoleranz +/- 3 Prozentpunkte beträgt, aber aufhorchen lässt das schon – es ist jedenfalls kein Aufwärtstrend und muss weiter beobachtet werden.

Wer ist in Social Media und was machen die da?

Social Media wird nach den Ergebnissen der BITKOM-Studie überwiegend zu privaten Zwecken genutzt - Ausnahmen sind die Businessnetzwerke XING und LinkedIn. Die meisten Netzwerkmitgliedern nutzen in ihrem sozialen Netzwerk vorrangig Funktionen, die zur Kommunikation mit Freunden dienen, sie holen sich Informationen zu Veranstaltungen, laden Bilder hoch oder nutzen Spiele (Social Games).

Wie viel Prozent der Internetnutzer in einem sozialen Netzwerk angemeldet / aktiv sind – nach Altersgruppen:
  • 14 bis 29 Jahre: 92 % sind angemeldet / 85 % sind aktiv
  • 30 bis 49 Jahre: 72 % sind angemeldet  / 65 % sind aktiv
  • 50 Jahre und älter: 55 % sind angemeldet / 46 % sind aktiv

Ausgewählte Aktivitäten
  • 14 Prozent der mindestens in einem sozialen Netzwerk angemeldeten Internetnutzer gaben an, dass sie sich – gelegentlich oder öfter - in Social Media über Marken und Produkte informieren
  • 11 Prozent suchen in Social Media nach Angeboten für Produkte und Dienste und 
  • 4 Prozent nutzen Social Media zur Kommunikation mit Unternehmen für Kundenservice und Beschwerden


Die Social Media Top 8 (aktive Nutzer) 

Platz 1: Facebook
45 % der Befragten (67 % der 14- bis 29-Jährigen, 42 % der 30- bis 49-Jährigen und 24 % der 50-Jährigen oder älter) sind bei Facebook aktiv. 

Platz 2: StayFriends
17 % der Befragten (2 % der 14- bis 29-Jährigen, 20 % der 30- bis 49-Jährigen, 19 % der 50-Jährigen oder älter) sind bei Stayfriends aktiv. 

Platz 3: wer-kennt-wen
12 % der Befragten (8 % der 14- bis 29-Jährigen, 14 % der 30- bis 49-Jährigen, 14 % der 50-Jährigen oder älter) sind bei wer-kennt-wen aktiv.

Platz 4: StudiVZ
6 % der Befragten (15 % der 14- bis 29-Jährigen, 1 % der 30- bis 49-Jährigen, 1 % der 50-Jährigen oder älter) sind bei StudiVZ aktiv.

Platz 5: XING
4 % der Befragten (5 % der 14- bis 29-Jährigen, 5 % der 30- bis 49-Jährigen, 3 % der 50-Jährigen oder älter) sind bei XING aktiv.

Platz 6: meinVZ
4 % der Befragten (8 % der 14- bis 29-Jährigen, 2 % der 30- bis 49-Jährigen, 2 % der 50-Jährigen oder älter) sind bei meinVZ aktiv.

Platz 7: Google Plus
3 % der Befragten (6 % der 14- bis 29-Jährigen, 3 % der 30- bis 49-Jährigen, 2 % der 50-Jährigen oder älter) sind bei Google Plus aktiv.

Platz 8: Twitter
3 % der Befragten (6 % der 14- bis 29-Jährigen, 1 % der 30- bis 49-Jährigen, 1 % der 50-Jährigen oder älter) sind bei Twitter aktiv.

Hinweis: In meinem Umfeld (Medien, Kommunikation) sähen die Top 8 völlig anders aus. Freiberufler oder Unternehmen, die in Social Media aktiv werden wollen, müssen erst herausfinden, wo die für sie relevanten Kontakte/Zielgruppen (z. B. Berufskollegen, Medien, Partnerunternehmen, potenzielle Kunden) sind.

Die Zukunft von Social Media

Nur weil der größte Hype möglicherweise vorbei ist, heißt das nicht, dass Social Media in der Zukunft keine Rolle mehr spielen wird, sondern – vorausgesetzt, dass der aktuelle Eindruck stimmt – dass sich das Wachstum der Nutzerzahlen verlangsamt. Viele Branchen sind ja noch gar nicht in Social Media angekommen und vieles an Potenzial wurde noch nicht einmal entdeckt.

Freiberufler und Unternehmen, die bis jetzt noch nicht in Social Media präsent sind, sollten sich nicht zurücklehnen nach dem Motto „Wozu die Mühe, das sitz ich einfach aus“. Im Gegenteil: Ich glaube, dass Social Media auf Dauer unaufgeregter Alltag wird und dass man als Freiberufler und Unternehmen nicht an Social Media vorbeikommt.

Es wird zwar auf der Netzwerkseite Konsolidierungen geben (Pleiten, Zusammenschlüsse etc.) und das Gleiche vermutlich auch bei den Social-Media-Experten (von Agenturen bis zu den Einzelkämpfern), aber es wird für Marken/Unternehmen wichtig bleiben, über Social Media in Erfahrung zu bringen, was Kunden über sie und ihre Produkte reden, Einfluss zu nehmen, ihr Unternehmen nicht nur im Internet sondern auch in den sozialen Netzwerken zu präsentieren und überhaupt Social Media in die Gesamtkommunikation und Unternehmensprozesse zu integrieren. Aber man wird sachlicher an die Aufgaben herangehen, als das in einer anfänglichen Hype-Phase (siehe Hype-Zyklen bei Wikipedia) geschieht, genauer hinschauen, wo man sich engagiert und genauer überprüfen, welchen Nutzen welche Social-Media-Aktivität für den Kunden und das Unternehmen hat.

Quelle für die Zahlen: BITKOM Studie (PDF nicht mehr online)

Freitag, 27. Januar 2012

Google Plus oder Facebook - dürfen Mega-Unternehmen das Internet beherrschen?

Google-Plus-Facebook-vgwort
Google, Facebook & Co. - Internet ist mehr als
ein paar Server und Kabel - es geht um Macht und Geld

Die Zeit vor Facebook

Internet - das war einmal definiert als das Netz der Netze. Seit Mitte der 1990er Jahre bin ich dabei. Am Anfang war das wichtigste Thema: Wie komme ich ins Internet rein - technisch und ohne dabei wegen der hohen Provider- und Telefongebühren pleitezugehen. Später ging es darum, wie und wo man brauchbare Informationen findet. Kommuniziert wurde aber von Anfang an viel: Per E-Mail, in Foren, Chats, Konferenzräumen, im Usenet, über Messenger und seit ein paar Jahren über Social-Media-Plattformen.

AOL war damals, als die ersten Privatnutzer und Nicht-Informatiker begannen sich für das Internet zu interessieren, ein Anbieter, der den einfachen Online-Zugang für Techniklaien sowie Informations- und Kommunikationsmöglichkeiten kostenpflichtig aus einer Hand bot. AOL war eine amerikanische Aktiengesellschaft, deren Kurs während der Internetblase ab Mitte der 1990er explodierte und dann mit dem Platzen der Blase wieder implodierte. Die Bedeutung von AOL begann zu schrumpfen, als der Online-Zugang allgemein einfacher und billiger und das kostenlose Information- und Kommunikationsangebot außerhalb von AOL größer wurde. Auch die, die vorher bei AOL waren und sich zum Teil innerhalb von AOL vernetzt und kommuniziert hatten, nutzten nun verstärkt die nicht kommerziellen (Usenet) und nicht zentral organisierten Kommunikationsmöglichkeiten (Chats, Foren und Messenger verschiedener Anbieter).

Facebook hat die Internetwelt verändert


Als Facebook (der Börsengang ist für 2012 angekündigt, geschätzter Wert des Unternehmens: 100 Milliarden US-Dollar) auftauchte, entwickelte sich nach und nach ein Hype. Viele neue Internetnutzer setz(t)en Internet und Facebook sogar gleich. Alte Internetler wie ich finden das wiederum sehr befremdlich - für uns ist Facebook nur ein kommerzielles Netzwerk, das die Daten der User ausschlachtet, innerhalb des großen (und großartigen) Internets. Doch dadurch, dass immer mehr Privatnutzer und Marken zu Facebook gingen, wurde ein großer Teil der Internetaktivitäten von Facebook "angesaugt". Facebook entwickelte sich zum zentralen Kommunikationszentrum und für manche sogar zum einzigen Informationszentrum.

Twitter hat zwar auch die Welt verändert, aber weniger das Internet als solches. Twitter war immer ein Teil des Internets, aber wurde nicht von seinen Nutzern mit dem Internet als solches verwechselt, wie man es bei manchen Facebook-Nutzern feststellen kann.

Google Plus - nicht nur eine Bedrohung für Facebook


2011 erschien Google Plus (Google+, G+) auf der Bildfläche - eine Social-Media-Plattform des Suchgiganten Google (seit 2004 an der Börse, Marktkapitalisierung derzeit ca. 108,65 Milliarden EUR, kaufte gerade die Motorola-Mobilfunksparte für 12,5 Milliarden US-Dollar). Google hat zu Zeiten von Altavista und Lycos den Suchmaschinen-/Webportalemarkt aufgerollt, alle Mitbewerber mehr oder weniger ausgestochen und ist durch Suchmaschinen-Marketing (Adwords, Adsense etc.) enorm reich geworden. Facebook, der User- und Werbebudget-Sauger, drohte für Google zur ernsten Gefahr zu werden und Google Plus wurde geschaffen. Google Plus ist von Anfang an sehr schnell gewachsen und hat sogar das Potenzial, Facebook die Führungsrolle zu nehmen. Doch was dann?

Wer hat Angst vor den Mega-Konzernen im Internet?


Ich. So wenig, wie es mir bei Facebook gefällt, dass der Social Graph diktiert, was ich von wem in meinen Hauptmeldungen zu sehen bekomme, ich mich in ein Facebook-Korsett zwingen lassen muss, kostenlos Inhalte bereitstelle, die von Facebook kommerziell genutzt werden dürfen (Crowd Sourcing für Dummies: Viele denken, arbeiten und diskutieren und einer kassiert den (kommerziellen) Erfolg), so wenig gefällt mir die Aussicht, dass eine Mega-Aktiengesellschaft wie Google in Zukunft nicht nur die Suche und über den Suchalgorithmus/Abstrafungen die Sichtbarkeit/Unsichtbarkeit von allem und jedem im Internet bestimmt, sondern auch noch den An-/Ausschalter für meine Kommunikation bedient - trotz aller Sympathie und Gefallen an den einzelnen Google-Produkten. Dazu kommt, dass all die verschiedenen (und teilweise sehr guten) Google-Dienste und deren gesammelte Daten im Laufe der Zeit zusammengeführt werden, was sicher neue angenehme Funktionen ermöglicht, aber eben den Nutzer zu einem noch besser hebbaren Datenschatz macht - und wer weiß, an wen all diese Daten irgendwann gehen.

Auch andere sehen die Gefahr - so warnte beispielsweise Wolfgang Sander-Beuermann von der Leibniz Universität Hannover in seinem Gastkommentar "Warum ich G+ nicht will" in der Internet World Business 17/11 vor der Google-Dominanz und der Macht, die das Unternehmen dadurch über die Struktur des Internets hätte und auch Bernd Graff legt den Finger in die Wunde in Googles neue Nutzungsbedingungen: Wir werden sterben und Google weiß, warum. Und nun setzt sich dieser Gigant auch noch für ein lockeres Urheberrecht ein - das macht nicht nur mir Bauchschmerzen: Lesenwert in diesem Zusammenhang ist King Kong gegen Godzilla von Wolfgang Michal.

Hat jeder Internet-Hype ein natürliches Ende?


Andererseits wird uns gerade im Internet immer wieder die Vergänglichkeit der Hypes und der Mächtigen vor Augen geführt - so viele verschwanden schon in die Bedeutungslosigkeit oder ganz von der Bildfläche: CompuServe, AOL, Altavista, Netscape, Second Life ... und demnächst möglicherweise Yahoo.

Sind Megakonzerne wie derzeit Facebook oder Google denn überhaupt eine Gefahr oder kann man sich darauf verlassen, dass ihre Macht von alleine wieder verschwindet - wie bei anderen vor ihnen -, weil etwas Neues auftauchen wird?

Google Plus, Facebook & Co. - besteht Handlungsbedarf, um deren Macht einzuschränken?


Wird die Meute irgendwann wieder weiterziehen und ist das Problem damit erledigt? Oder muss etwas dagegen getan werden, dass das Internet von solchen Giganten wie Google oder Facebook (vorübergehend?) beherrscht werden kann. Wenn ja, wie wäre das möglich? Müssen Kartellämter stärker eingreifen? Aber die Vorteile, die ein Nutzer dieser Plattformen hat, sind eben zu einem großen Teil auch durch eine Zentralisierung bzw. Quasi-Monopolstellung bedingt. Oder müssen nutzerbezogene Daten irgendwo zentral und unabhängig von Unternehmen verwaltet und vom User jeweils freigeschalten werden? Doch wer soll die Vollmacht für diese Datenverwaltung erhalten, schließlich findet das Internet staaten-/ideologieübergreifend statt. Und wer bezahlt das?

Google Plus, Facebook oder ...?


Ich persönlich bin nach wie vor froh, dass Google Plus geschaffen wurde, weil es die Anzahl und Vielfalt der Social-Media-Plattformen erhöht und dadurch vermutlich die Macht von Facebook reduziert. Doch muss meiner Meinung nach auch etwas gegen Google getan werden, denn durch die Integration von Google Plus in seine Suchmaschine mit Quasi-Monopolstellung nötigt Google Webseitenbetreiber und Blogger praktisch dazu, in Google Plus aktiv zu werden; dadurch dass die dann auch auf ihrer Webseite für ihre Google-Plus-Präsenz werben, bewerben sie auch wieder Google Plus.

Mein persönliche Strategie, mit der Situation umzugehen: Ich werde weiterhin verschiedene Social-Media-Plattformen/-Kanäle nutzen - egal wie gut Google Plus noch wird. Google Plus, Facebook, Twitter, XING - jede Social-Media-Plattform hat ihre Stärken und Schwächen. Ich plane, weiterhin verschiedene Kanäle entsprechend der jeweiligen Stärken zu nutzen. Nicht zuletzt, um mich nicht abhängig von einem einzigen Anbieter zu machen.

Um als Person weniger transparent für Google zu sein, wenn das Unternehmen - wie bereits begonnen - die User-Daten all seiner Dienste miteinander verknüpft, arbeite ich inzwischen mit verschiedenen Browsern für verschiedene Tätigkeiten/Netze und setze die oft incognito ein - jeder Browser hat diese Funktion: Mit der rechten Maustaste auf das Browser-Symbol in der Taskleiste klicken, dann entsprechend Incognito-Fenster, InPrivate o. a. auswählen.

Interessant ist auch der neueste Coup der Konkurrenz von Google: Sie hat jetzt eine Browsererweiterung entwickelt, mit deren Hilfe sie in der personalisierten Google-Suche (Search Plus Your World) besser platziert wird (Konkurrenten manipulieren Google-Suche). Ein spannender Kampf, bei dem wir in der ersten Reihe sitzen - oder sind wir der Spielball?

Ich bin an der Meinung meiner Leser interessiert und freue mich über Kommentare.